Der Autofahrer ist die Krone der Schöpfung in unserer Zeit, die höchste Evolutionsstufe. Ein Autofahrer bekommt sogar einen staatlichen Nachweis, den Führerschein, der bestätigt, dass er Auto fahren darf. Das allein erhebt ihn über Fußgänger und Radfahrer. Das ist insoweit seltsam, da der Autofahrer in der Regel bis etwa zum 18 Lebensjahr selbst zu den Fußgängern oder Radfahrern gehört. Aufgrund des immensen Wissenszuwachs in der Fahrschule ist für entsprechende Erinnerungen aber kein Platz mehr im Gehirn, weshalb alles gelöscht und überschrieben wird, was irgendwie mit früheren Evolutionsstufen zu tun hat. Nach Erwerb des Führerscheins ist der Autofahrer somit nicht mehr in der Lager, sich in Fußgänger oder Radfahrer hineinzuversetzen, er ist der unumstößlichen Meinung, schon immer Autofahrer gewesen zu sein. Kurz nach abgelegter Führerscheinprüfung vergißt er selbst das gerade Erlernte:
Zunächst geht so ziemlich jedes Wissen über Geschwindigkeitsbegrenzungen aller Art verloren. Verbunden damit ist der Verlust motorischer Fähigkeiten. So ist kurz nach der Fahrschule nur noch ein Bruchteil der Autofahrer in der Lage, den Blinkerhebel zu betätigen. Damit einher geht nicht selten ein Vergessen von Sicherheitsabstand, Überholverbot oder des Rechtsfahrgebotes. Gerade bei Großstädtern kann man oft eine gewisse Orientierungslosigkeit beobachten, wenn Ampeln ausfallen oder sie in eine Gegend ohne Ampeln geraten. Oft hat sich dann schon der Irrglaube breit gemacht, dass die gerade Straße oder die längere Straße die Hauptstraße ist. Viele Autofahrer haben ein schlechtes Raumgefühl bzw. können Größen nicht richtig einschätzen. Die einen halten ihr eigene Fahrzeug für so klein, dass sie selbst in engen Baustellen noch die linke 2m-Spur benutzen dürfen oder LKW überholen, die anderen halten ihr Fahrzeug für riesengroß, praktisch für einen Bus – und so benutzen sie in Städten ohne zu zögern auch die entspr. Busspur.
Obwohl der Autofahrer angeblich ein ganz normaler Mensch ist (sein soll), kommt dies wohl erst nach Ankunft in der eigenen Wohnung zum Tragen. Bis zum Erreichen der eigenen Haustür ist er praktisch immer in Eile. So versucht der Autofahrer, selbst auf den letzten 400m Heimweg, noch wichtige Sekunden gut zumachen. Da neben oben Genanntem auch die Bedeutung einer 30er Zone vergessen wird (es gilt neben Tempo 30 im gesamten Gebiet auch noch rechts vor links!), wird noch bei den Nachbarn vorbei gerast, nur um sofort nach Abstellen des Motors peinlich genau darauf zu achten, dass die eigene Ruhe ja nicht gestört wird.
Als Krone der Schöpfung kann der Autofahrer nicht hinter anderen Verkehrsteilnehmern warten. Da, wo Schrittgeschwindigkeit gefordert ist, muss er trotzdem Fußgänger überholen. Da wo ein Radfahrer fährt, muss er auch diesen überholen – selbst, wenn dieser in 30er Zone 35 fährt, muß er vorbei. Im ausschließlich für ihn reservierten Lebensraum, der Autobahn, kann er es nicht ertragen, hinter eigentlich langsameren oder kleineren Fahrzeugen hinterher zu fahren. So werden selbst in Baustellen LKW überholt obwohl der Platz es kaum zuläßt und der LKW schon mindestens 10km/h zu schnell fährt. Zwar nehmen sich viele Autofahrer gelegentlich die Zeit, in Ruhe die Landschaft zu genießen – doch wehe, sie werden von einem (scheinbar) schwächeren Fahrzeug überholt – hier erwacht der Reflex des Stärkeren. So kann es ein die ganze Zeit mit 100km/h fahrender Mercedesfahrer durchaus ertragen, von einem BMW überholt zu werden – aber wehe, ein Corsa oder Polo zieht vorbei! Schluß mit Blumenpflücken und Landschaft gucken, diese Kleinwagen müssen in Ihre Schranken gewiesen werden. Und so wird das Gaspedal plötzlich wiederentdeckt.
Dass der Autofahrer aus dem Fußgänger hervorgegangen ist erkennt man allerdings daran, dass bestimmte Gewohnheiten beibehalten werden: Auch der Autofahrer trifft sich gern mit Seinesgleichen. Treffen sich sehr viele Autofahrer, so nennt man das Stau. Auch der Autofahrer steht dabei grundsätzlich in der falschen Reihe – wie der Fußgänger an der Supermarktkasse – in der anderen Schlange geht es jedenfalls immer schneller. Und wie der Fußgänger kann auch der Autofahrer keine (Rettungs-) Gasse bilden.
Der einzelnen Autofahrer hat immer Recht. Noch ist nicht geklärt, ob das aus der Entwicklung vom Fußgänger her rührt oder diese Eigenschaft erst als Autofahrer erworben wird. Außer ihm sind nur Idioten auf der Straße, die keine Ahnung haben. Der Autofahrer hat ein Blick für die Fehler der anderen, ob vergessener Blinker, ständiges Fahren auf der linken Spur, zu hohes oder zu niedriges Tempo – der Autofahrer weiß wie die anderen es richtig machen müßten. Obwohl er Erziehungsmaßnahmen selbst nicht mag, versucht er es immer wieder bei Seinesgleichen, wer zu schnell fährt, wird ausgebremst, wer zu langsam fährt wird bedrängt und wer ordentlich fährt ist sowieso ein Idiot – oder wird den “Zu-Langsamen” zugeordnet.
Der Autofahrer hat wenig Feinde, die ihm gefährlich werden können. Fußgänger sind zwar lästig, haben aber keine Chance. Radfahrer können wirklich unbequem werden und den Lack ruinieren, sind aber erträglich. Gefährlich werden können nur größere Autos: die LKW. Man versucht es deshalb mit immer größeren PKW, den SUVs, Paroli zu bieten – bisher aber vergeblich.
Der gefährlichste Feind des Autofahrers ist aber nicht der LKW sondern die Radarfalle. Besonders in ihrer Mutation als Laserpistole stellt sie ein erhebliches Gefährdungspotential dar. Die Laserpistole ist handlich, klein und wendig, sie kann blitzschnell ihren Standort wechseln. Zwar stellt die Radarfalle keine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben dar – allerdings kann der Autofahrer durch die Radarfalle in der Entwicklung wieder auf die Evolutionsstufe eines Fußgängers zurückfallen – und das ist eigentlich das Letzte, was er will.